Begegnung mit Franz Hohler
Freitagabend, 1. Stock in der Buchhandlung Orell Füssli in Basel: Die Lesung beginnt in einer Viertelstunde; bereits sind die meisten Sitzplätze besetzt, vor allem die vorderen. Einige Stühle sind dezent mit einem Accessoire als “reserviert” gekennzeichnet. Wer das Zeichen übersieht, erntet unmissverständliche Blicke. Pünktlich tritt Franz Hohler in Erscheinung und trägt gleich das Gedicht “Sommergelächter” aus seinem gleichnamigen Gedichtband vor. Er geniesst den Auftritt und würzt seine Lesung mit Anekdoten, die das Publikum zum Schunzeln bringen.
Anekdote vom Umdrucker
Wenn er eine Schule besuche, um mit Kindern eine Geschichte zu erfinden, nehme er die mechanische Schreibmaschine und sein Umdruckgerät mit. Die Geschichte schreibe er auf eine Matrize, spanne diese nachher auf die Trommel des Umdruckers, drehe an der Handkurbel, bis das nostalgische Gerät Blatt um Blatt, Geschichte um Geschichte mit blauer Schrift bedruckt sanft auswerfe. Sofort würden die Schüler die noch leicht feuchten und nach Spiritus riechenden Blätter an die Nase halten. Das Herstellen der Geschichten mit dem für die Schüler wundersamen Umdrucker unterstreiche das Entstehen des Neuen und die Kinder würden es mögen, weil sie ein solches Gerät noch nie gesehen hätten. Leider seien ihm vor einiger Zeit die Umdruckmatrizen ausgegangen. Weder die Papeterie noch die Firma Pelikan hätten noch welche gehabt, so habe er sich in der Not an die Militärverwaltung in Bern gewandt, die geantwortet habe: “Wir haben noch Tonnen davon!”
Turicum
Wer in Zürich die Pfalz-Gasse zum Lindenhof hochsteigt und wegen der schwerer werdenden Beine und des jagenden Pulses den Blick nicht starr auf den Boden richtet, entdeckt an der Mauer links einen Grabstein mit folgender Inschrift: “parentes dulcissimo filio” – die Eltern dem herzallerliebsten Sohn, gewidmet einem römischen Jungen, der im 2. Jahrhundert nach Christus nach nur einem Jahr, fünf Monaten und fünf Tagen gestorben war. Franz Hohler hat ein Gedicht darüber geschrieben. Es heisst Turicum. Irgendjemand, so Franz Hohler, habe sein Gedicht auf eine Metallplatte graviert und neben dem Grabstein in die Mauer geschraubt. Er habe sich bei der Bauverwaltung der Stadt Zürich erkundigt, doch niemand habe ihm sagen können, wer es gewesen sei. Es bleibe ein Rätsel. Das Gedicht befindet sich im Buch “Sommergelächter” auf den Seiten 90/91 und zeugt von der grossen Feinfühligkeit Franz Hohlers.